Tartastan…

Nach erholsamen Tagen am See Ozero Yalchik im Marii Chodra Nationalpark, erreichen wir am frühen Nachmittag die autonome Republik Tartastan. Mitten im Herzen von Russland gelegen und seit Anfang der 90er Jahre unabhängig, klingt es eher wie ein Land aus längst vergangener Zeit. Hätte jemand vor dieser Reise gefragt wo Tartastan liegt, der Finger wäre in Richtung Mongolei gewandert. Heute verleihen mehr als 115 Nationalitäten und unterschiedlichste Konfessionen, Tartastan einen multikulturellen Einfluss. Schon auf den ersten Kilometern nach Kasan, fällt uns positiv auf, dass die die Straßen in einem ausgesprochen fahrradfreundlichen Zustand sind und das wird sich bis zur Landesgrenze auch nicht mehr wirklich ändern.

Als wir in Kazan ankommen, ist das letzte Spiel der Fussball-WM gerade vorbei, doch der Trubel immer noch groß. Wir finden ein süßes Hostel und eine Übernachtungsmöglichkeit bei Couchsurfing und bleiben vier Tage in der Hauptstadt. Wir schlendern durch verwinkelte, kleine Gassen und lassen uns auf dem großen Prospekt durch die Stadt treiben. Die neue Uferpromenade ist vor dem großen Fussballspektakel gerade fertig geworden und wird an diesem Wochenenden von zahlreichen Menschen bevölkert. Es gibt Livemusik und ein einmaliges Himmelsereignis. Was für ein Moment. Ohne vorher davon gewusst zu haben, genießen wir bis weit in den frühen Morgen die Mars-Mondfinsternis.

Ein Highlight und zugleich Abwechslung, bietet die Besichtigung der zweitgrößten Moschee Russlands. Der Kreml von Kasan mit der Kul-Sharif-Moschee und der benachbarten Mariä-Verkündigungs-Kathedrale sind ein wunderbares Zeichen für das friedliche Miteinander verschiedener Religionen. Am letzten Tag gönnen wir uns bei herrlichem Sommerwetter ein kühles Bad in der Wolga bevor wir unsere Reise fortsetzen. Allerdings werden sich für die Strecke von Kazan nach Omsk unsere Verkehrsmittel ändern. Tatjana entscheidet sich mit dem Zug nach Omsk zu fahren, um noch einige Zeit mit ihrer Mutter verbringen zu können. Mein Weg führt mich weiter durch die Weiten Tartastans und später durch Kasachstan.

Ab jetzt wird das Gelernt in die Praxis umgesetzt und mein Russisch auf den Prüfstand gestellt.

Weiter südostwärts gewandt geht es Richtung Christopol über die fast 14 km lange Kama-Brücke mit Hochstraße. Sie überquert den Fluss Kama, der an dieser Stelle in die Wolga mündet und ein Gefühl aufkommen lässt, als stünde man am Ufer eines Meeres. Himmel und Wasser verschmelzen zu einer Einheit und lassen den Horizont nur sehr schwer auszumachen.
Kurz vor Christopol, werde ich auf der Straße angesprochen, ob ich nicht einen Couchsurfing-Platz benötige. Meine erste Übernachtungsmöglichkeit ist gesichert. Weit ab von der Hauptmagistrale nach Osten rollt es auf den Straßen wie geschmiert. Wenig Verkehr, schöne Straßen und Möglichkeiten den Blick in der Landschaft unbeirrt schweifen zu lassen. Sofort fällt auf, das Tartastan reich an Bodenschätzen und Honig ist. Und guten Menschen. Nach einer kurzen Rast an einer Tankstelle, kommt prompt der Honigverkäufer von nebenan herüber und schenkt mir einen süßen Wegbegleiter.

Kurz vor Erreichen der Stadt Almetjewsk endet die Straße abrupt und verläuft in eine 40 km lange Umleitung. Nach kurzem Ausloten der neuen Situation wage ich die Fahrt durch die Baustelle. Der Untergrund wechselt von groben Schotter, über aufgewühlte Erde, Kies, frischen Asphalt, knochenharte, zermürbte Feldstraßen. Die Erinnerungen an solche Wege abseits der Hauptstraßen lässt fast schon vergessene Bilder im Kopf neu beleben. Doch diesmal gilt Augen zu und durch. Mittlerweile wird es schon gegen acht Uhr dunkel und so wird das Zelt an diesem Tag kurz hinter dem Ende der Baustelle aufgeschlagen. Eine wirklich wunderbare und ruhige Nacht, da kein einziges Auto die Baustelle passieren wird. Doch die ausgefahrene Seitenstraße an der das Zelt aufgebaut wird, verwandelt sich am folgenden Morgen zu einer sehr stark befahrenen Piste. Es wird Zeit aufzustehen. Bis auf ein paar verdutzte Blicke bei Morgenmuffel und Insassen, bleibt es bei keinem weiteren Kontakt. Die Räder rollen wieder und es geht nach Almetjewsk. Einladend wirkt diese Stadt nicht uns so bleibt es an diesem Morgen bei einem leckeren Frühstück und einem Pott Kaffee.

Frisch gestärkt radel ich an den ersten Hinweisschilder, auf denen UFA aufgeführt wird, vorbei. Kurz nach Nischni Nowgorod sind wir schon den ersten Schildern mit UFA begegnet, doch da war die Kilometerangabe noch jenseits von gut und böse und nicht wie jetzt zum Greifen nah. Noch 260 km. Erleichterung und gute Laune macht sich breit. Es läuft blendend bis ein erneutes Schild auf eine Baustelle ankündigt. Die lange Schlange vor der Baustellenampel, lässt daraus schließen, dass der Teil der Baustelle sehr, sehr lang sein muss. Die Sonne steht mittlerweile im Zenit und brennt gnadenlos. Nach 15 Minuten warten, überlege ich den Fahrer, des hinter mir wartenen Transporters zu fragen, ob er nicht ein Platz frei hat. Eigentlich war es nur als Zeitvertreib gedacht und für´s Gefühl, es wenigstens probiert zu haben. Prompt sagt er zu, wir laden das Rad ein und kaum sind wir eingestiegen, springt die Ampel auf grün und die Karawane zieht los. Die Fahrt geht bis Oktjabrski, also nicht weit, aber zwei Fliegen wurden mit einer Klappe geschlagen. Baustelle, mit Kies, Schotter und Co leichtfüssig passiert und die ersten 20 km auf der berüchtigten M5 wie im Flug absolviert.

Geschafft, doch jetzt steh ich da, an der M5 nach UFA. Viel schlechtes habe ich über diese Straße gelesen und nun bin ich für die kommenden 180 km ein Teil von ihr. Na toll. Aber der Verkehr an diesem, mittlerweile frühen Abend, ist harmlos, gegenüber dem, was wir schon auf anderen Hauptmagistralen erlebt und befahren haben. Nach 30 km suche ich einen idyllischen Schlafplatz aus und genieße den Sternenhimmel.

Auf dem Weg nach UFA treffe ich bei der ein oder anderen Rast immer wieder auf Interessierte und freundliche Menschen. Bei einer Verschnaufpause vor einem kleinen Einkaufsmarkt, in einem verschlafenen Dorf, gleich neben der Hauptfahrroute M5, bekommen ich ein Eis geschenkt. Zur Stärkung und natürlich um noch etwas Zeit verstreichen zu lassen, um etwas aus dem Nähkästchen zu plaudern. Nach dieser Erfrischung ist UFA, vom Berg aus schon in Sicht. Noch 70 km.