Peter der Große

Peter und sein Größenwahn…

Nur noch 60 km trennen uns von Sankt Petersburg und wir sind guter Dinge, dass wir es in vier Stunden schaffen. Doch alles kommt anders als erwartet. Die erste Hälfte der Strecke fährt sich wie geschmiert. 30 km vor Sankt Petersburg beginnt die Irrfahrt auf der Suche nach einem Fahrradweg, die Hauptstraße ist uns doch zu heikel und der Verkehr auf den Straßen tobt. Nach einer Stunde Orientierungslosigkeit und dem Gedanken, die nächste S-Bahn zu nehmen, sehen wir auf der anderen Straßenseite drei Radreisende, die ebenfalls Richtung Sankt Petersburg unterwegs sind und erfreulicherweise fahren sie nicht auf der Straße. Wir können unser Glück kaum fassen. Die Euphorie ist nur von kurzer Dauer, denn jetzt stellt sich die Frage, wie wir auf die andere Seite kommen, weit und breit gibt es keine Kreuzung, nur einen Brückenübergang von der S-Bahn Station, der von beiden Seiten nur über eine Wendeltreppe benutzt werden kann. Mit den vollbeladenen Fahrrädern ist es für uns keine Option. Letztendlich beschließen wir die sechsspurige Schnellstraße zu passieren. Mit großer Obacht und viel Muskelpower befördern wir die Räder einzeln erst auf den Grünstreifen, überwinden dabei extrem hohe Bordsteinkanten – und als ob dies noch nicht schlimm genug ist, rückt gerade in dem Moment eine Rasenmähkolonne an. Wir legen einen Gang zu, holen das zweite Rad auf die andere Seite und können es uns kaum ausmalen, welcher Verkehr uns in der zweitgrößten Stadt Russlands erwartet. Auf dem Weg nach Sankt Petersburg fahren wir an unzähligen Kriegsdenkmälern zu Ehren der gefallen Soldaten vorbei. Erinnerungskultur an den zweiten Weltkrieg spielt in Russland eine wichtige Rolle und das werden wir in jeder weiteren Stadt erleben.

Bereits in den Vororten spüren wir die Fußball WM-Stimmung – Auf den Brücken wehen Begrüßungsflaggen, die Grünstreifen entlang der Straßen sind dekoriert mit riesigen Blumen-Fußbällen, überall hängen WM-Plakate – ob das WM-Feeling bei der Russen selbst angekommen ist, ist jedoch fraglich. Am Rande der Stadt begrüßt uns der noch im Bau befindliche Wolkenkratzer, das Lakhta Center von Gazprom, und die ersten Orientierungsschilder für die Fußball-Fans. Teilweise gibt es sogar neue Radwege, die dann aber promt enden. Wir gliedern uns in den fließenden Auto-Verkehr ein. Nach knapp sieben Stunden erreichen wir endlich das Haus von Swetlana, die wir Tage zuvor kennengelernt haben. Sie vermietet ein paar Zimmer in einer Kommunalka, vergleichbar mit einer Wohngemeinschaft. Hier steht noch ein Zimmer frei, das wir kostenlos nutzen können. Gerade jetzt sind die Unterkünfte in Sankt Petersburg unbezahlbar. Was für ein Glück, dass wir hier solange bleiben dürfen, wie wir wollen. Und das noch im Zentrum der Stadt. Die Zeit in dieser Wohngemeinschaft scheint stehengeblieben zu sein, überall fühlt man sich in die alte Zeit zurück versetzt. Das Zusammenleben, die zusammengewürfelten Bewohner und das Interieur erinnern an die sowjetischen Zeiten. Am unseren ersten Abend in Sankt Petersburg lassen wir es ruhig angehen. Die letzten Energiereserven reichen nur noch für einen Restaurant-Besuch, um unser Verlangen nach russischen Teigtaschen zu stillen. Vollgestopft mit Pelmeni, Wareniki und Manti und mit großer Vorfreude auf den nächsten Tag, schlendern wir zurück in die Kommunalka.

Sightseeing is calling! Am zweiten Tag nehmen wir die Zarenstadt genauer unter die Lupe. Im Zentrum wimmelt es von Touristen und Fussball-Fans. Gefühlt jeder Zweite ist ein Argentinier. Tausende sind gekommen, um ihre Mannschaft im Spiel gegen Nigeria anzufeuern. Und wir haben das Glück in die Atmosphäre der Mitfieberenden einzutauchen. An jeder Ecke treffen wir gutgelaunte Fans. In den Cafés und Bars, die sich wie Perlen an einer Schnur aufreihen, herrscht WM-Feeling. Doch unsere Mission ist für heute die Erkundung der Stadt. Es gibt über 4.000 Denkmäler in Sankt Petersburg, ganze 15 % zählen zum UNESCO Weltkulturerbe. So schlendern wir an den Fan-Meilen vorbei und klappern die wichtigsten Sehenswürdigkeiten ab – die atemberaubende Ermitage, Wassiljewski-Insel, prächtige Kirchen und flanieren durch die einzigartige Kultur- und Einkaufsstraße, dem Newsky Prospekt – dem Herzen der Stadt. Zwischendurch stärken wir uns in dem wohl gemütlichsten Restaurant in Sankt Petersburg – Gosti (dt. Gäste) und lassen dort unserer kreativen Ader freien Lauf. Nach ungefähr zwölf Stunden Erkundungtour erleben wir in der Stadt der Brücken das absolute Highlight – die Brückenöffnungen. Hunderte Menschen strömen zu diesem Ereignis und warten geduldig auf das nächtliche Ereignis, begleitet von klassischer Musik. Erschöpft und voller unvergesslicher Eindrücke genießen wir beim grandiosen Sternenhimmel den Spaziergang, zurück in die Unterkunft.

Auch am dritten Tag widmen wir uns der russischen Hochkultur. Wir besuchen das nächste Schloss – das russische Versailles – Peterhof in der Stadt Peterhof. Auch hier sind wir überwältigt von dem Prunk und Glanz, riesigen Gartenbrunnen und der Größe der Sommerresidenz des Zaren. Noch vor 70 Jahren lag hier alles in Schutt und Asche. Die völlig zerstörte Residenz wurde nach den Originalplänen detailgetreu schrittweise wieder aufgebaut. Und beinahe wäre es uns verwehrt geblieben dieses beeindruckende historische Denkmal aus der Nähe zu betrachten. Denn ausgerechnet an diesem Tag feiern die Sankt Petersburger Absolventen auf dem Gelände des Schlosses und ausgerechnet heute sind die Öffnungszeiten verkürzt. Als wir nach der anderthalb stündige Fahrt in Peterhof eintrudeln, stehen wir enttäuscht vor verschlossenen Pforten. Doch auch hier kommen wir in den Genuss der russischen Gutherzigkeit. Ein freundliches Bitten und ein trauriger Blick beim Pförtner genügt und schon stehen wir – ausnahmsweise - auf der andere Seite des verschlossenen Tores. Uns bleibt eine halbe Stunde Zeit zum Flanieren. Wie sich das alles mal wieder fügt und erfüllt. Am späten Abend schleppen wir uns erschöpft durch die Sankt Petersburger Flaniermeilen und erleben die Wunderstadt von ihrer romantischen Seite. Nachts ist die Stadt mit den schönsten Farben beleuchtet. Sankt Petersburg bei Nacht sollte man auf jeden Fall erlebt haben.

Nach zwei Tagen intensivem Sightseeing verlassen wir die märchenhafte Zarenstadt, völlig bezaubert von ihrer Schönheit. Um dem ganzen Kulturflash noch ein Sahnehäubchen zu verpassen, runden wir unsere Kulturreise mit dem Besuch des Katharinenpalasts in Puschkin ab. Hier bewundern wir nicht nur das weltberühmte Bernsteinzimmer. Der komplette Palast ist an Prunk und Protz nicht zu überbieten. Nach drei Besichtungstagen sind wir gesättigt von dem Glanz und der Pracht der majestätischen Gebäude. Es ist an der Zeit weiterzufahren und dem Großtadt-Dschungel den Rücken zu kehren. In Puschkin nutzen wir zum ersten Mal die Vorzüge von Couchsurfing und übernachten bei Nadezha, die uns liebevoll empfängt und uns sogar im eigenen Zimmer einquartiert. Es ist ein wunderbares Gefühl, von fremden Menschen so herzlich umsorgt zu werden.

Kriegsdenkmal nähe Sankt Petersburg
Lakhta Zentrum - Gazprom
Kommunalka in Russland Wohgemeinschaft
Fussball WM Russland Fan-Meile Sankt Petersburg
Moika Sankt Petersburg - im Hintergrund die Blutskirche
Sankt Petersburger Moschee
Park im Peterhof - Sankt Petersburg
Kriegsdenkmal an die gefallenen Soldaten Sank Petersburg
Kommunalka Sankt Petersburg
Restaurant Gosti Sankt Petersburg
Restaurant Gosti Sankt Petersburg Bortsch
Restaurant Gosti Sankt Petersburg - Malstunde
Lada zhigulli shigulli
Schlossbrücke Sankt Petersburg
Sankt Petersburg bei Nacht
Katharinenpalast Puschkin
Katharinenpalast Puschkin Speisezimmer
Katharinenpalast Park
Ermitage Sankt Petersburg