Odyssee nach Welikij Novgorod…

Ausgeschlafen, voller Elan und mit positiven Erfahrungen bei unserem ersten Couchsurfing Host verlassen wir Puschkin. In zwei Tagen wollen wir in Welikij Novgorod, der ältesten Stadt Russlands, sein. Die Erwartungen an die Kulturhochburg sind hoch. Wir sind sehr gespannt, ob die Stadt die Bezeichnung "Welikij" (dt. groß bzw. bedeutend) verdient hat. Bei dem Gedanken an den Verkehr auf den russischen Hauptstraßen läuft es uns kalt den Rücken runter. Es ist vielleicht doch besser, auf Radwege oder Landstraßen, die durch Dörfer führen, auszuweichen. Die berechnete Route auf Yandex Maps scheint uns verlässlich zu sein. Und so folgen wir 90 km dem Weg bis es anfängt dunkel zu werden. Es ist bereits kurz nach neun und an der Zeit einen Campingspot zu suchen. Zelten am Straßenrand ist in dem sumpfigen Gebiet praktisch unmöglich und so beschließen wir das nächste Dorf anzusteuern in der Hoffnung, dass sich bei irgendjemandem im Garten eine Möglichkeit ergibt, unser Zelt aufzuschlagen.

Die nächste Siedlung ist in Sichtweite. Wir biegen ab und promt werden wir von einem älteren Herrn abgefangen. Er ist sehr verwundert, warum wir ausgerechnet in dieser Gegend unterwegs sind, denn hier geht es nicht weiter. Wir sind in einer Sackgasse gelandet. Die Straße, die uns angeblich nach Welikij Novogorod führen soll, gibt es seit zwanzig Jahren nicht mehr. Sie ist im Moor versunken und wenn wir weiterkommen wollen, müssen wir fünfzig Kilometer zurückfahren oder unsere Räder entlang der Schienen zwanzig Kilometer auf dem Schotter zu schieben. Dies kommt für uns nicht in Frage. Eine Option bleibt uns noch. Im nahe gelegenen Dorf verkehrt gelegentlich mal 'ne Bahn. Und so bleibt uns uns nichts Anderes übrig als unsere Prinzipien zu brechen. Während des Gesprächs ist eine junge Frau dazu gestoßen. Sie heißt Nadezda. Auf unsere Frage hin, ob wir bei ihr im Garten unser Zelt aufbauen können, schleppt sie uns in ihr Haus und quartiert uns im Wohnzimmer ein. Wir sind aufs Neue überwältigt von der russischen Hilfsbereitschaft. Und wieder mal haben wir Glück. Am nächsten Tag gibt es eine Zugverbindung.  Das Dorf, in dem wir so herzlich aufgenommen wurden, ist eine Datscha Siedlung. Großstädter aus nahe liegenden Orten verbringen auf dem Land ihren Urlaub und gerade an diesem Wochenende herrscht in dem Örtchen Bambule. Wir sind mittendrin und zur Krönung des anstrengenden Tages gibt es die langersehnte Banja mit der dazugehörigen Verpflegung.

Am nächsten Morgen bleibt uns nicht viel Zeit, zügig packen wir unseren Kram zusammen. Den Zug dürfen wir auf keinen Fall verpassen, am Bahnsteig gönnen wir uns noch ein Eis und bereiten uns schon mental auf einen hohen Treppeneinstieg vor. Und so kommt es auch. Mit kurzer Haltezeit im Nacken heben wir mit großer Mühe und voller Wucht die vollgeladenen Räder einzeln hoch. Erleichtert und mit ein paar Kratzern an den Rädern stehen wir im Zug. Von einer entspannten Fahrt kann aber nicht die Rede sein, denn wir stehen mitten im Weg und müssen die Räder jedesmal hin und her manövrieren, um den Durchgang frei zumachen. Auch der Blick durchs Fenster ist nicht gerade traumhaft. Wir fahren durch eine Moor-Landschaft. Sie wirkt schaurig, sogar etwas unheimlich, aber dennoch beeindruckend. Nach vierzig Minuten steigen wir genauso hektisch wieder aus. Am Bahnsteig stärken wir uns mit Kaffee und Porridge und setzen die Fahrt auf unseren Rädern fort.

Bis nach Welikij Novgorod sind es noch 80 km. Die erste Hälfte der Strecke ist ein Träumchen. Nach 40 km endet die ruhige Seitenstraße, weiter geht es nur über die M-10, eine Fernstraße, die nach Moskau führt. Der Verkehr lässt Adrenalin ins Blut schießen, ein LKW nach dem anderen prescht an uns vorbei. Die M-10 lässt sich auf dem breiten Parkstreifen trotzdem wunderbar fahren. Nur der Regen macht es uns zu schaffen. Dieser wird uns die nächsten Tage noch begleiten.

Am Abend erreichen wir Welikij Novogorod. Bereits am Ortseingang weisen Schilder auf die sehenswerten Plätze und die Bedeutung der Stadt hin. Auf den ersten Blick wirkt die Stadt wie jede andere mittelgroße Stadt in Russland: Plattenbauten aus der Sowjetzeit, marode Straßen, der Flair einer mittelalterlichen Stadt und der einflussreichsten Handelsrepublik ist noch nicht zu spüren. Etwas enttäuscht fahren wir weiter zu unserem Couchsurfing-Gastgeber - Dennis und seiner Familie, die am Rande der Stadt wohnen. Zusammen lassen wir den Abend beim leckeren Sushi und schönen Gesprächen ausklingen.

Am nächsten Tag erleben wir die schönen Seiten von Welikij Novgorod. Mitten im Zentrum befindet sich eine historische Rundburg, die Stadt ist zudem übersät mit orthodoxen Kirchen. Im Schlosspark werden mittelalterliche Szenen mit Tanz und Spiel vorgeführt. Die Besucher können aktiv dran teilnehmen und so kommen immer mehr Menschen zum Spektakel dazu. Wir machen nur ein paar Fotos und schlendern weiter. Auch wir scheinen eine Attraktion zu sein. Die Passanten drehen sich nach uns um, Einige sind sehr interessiert und bombardieren uns jedesmal mit gleichen Fragen zu. Wo kommt ihr her? Wie viel seit ihr gefahren? Wo geht´s hin? Ein Plüschtier-Verkäufer drückt uns sofort eine Katze in die Hand als die Kilometerzahl hört. Dieses Mal halten wir unsere Sighseeing-Tour kurz. Das Wetter ist nicht gerade einlandend und so verkriechen wir uns im nächsten Café. Beim Blick aus dem Fenster bewegen uns gleiche Gedanken. Es ist bereits Nachmittag und die vorgenommene Etappe schaffen wir heute eh nicht. Wir buchen ein Hostel und nutzen die Zeit, um ein paar Dinge zu erledigen.

Kreml Weliki Novgorod Rundburg