Wenige Kilometer vorm Zentrum setzt uns Ivan am Straßenrand von Nischni Novgorod ab. Es ist auch mal schön, ein Stückchen mitgenommen zu werden. Drei Tage Fahrt durch hügelige Landschaft mit teilweise 12 Prozent Steigung ist nun mal kein Zuckerschlecken. Nach 60 km als Beifahrer geht´s auf unseren Möhren weiter Richtung Stadtmitte. Die Stadt ist immer noch in WM-Atmosphäre gehüllt, auf den Brücken wehen Begrüßungsfahnen und das neue Prachtstück der Stadt - das Stadion - ist kaum zu übersehen. In der Mittagszeit sind wir die Einzigen, die auf der neuen Uferpromenade in der prallen Sonne entlang fahren. Vor wenigen Tagen tobte hier noch die Masse. Bis zum Abend flanieren wir im Zentrum und genießen das schöne Wetter. Überall, wo wir sind, werden wir von den Leuten beäugt. Ein Pärchen, das am Abend eine Fahrradtour macht, ist völlig außer sich, als sie uns auf den vollbepackten Rädern sehen. Wir werden angehalten und mit Fragen bombardiert. Prompt bieten sie uns eine Schlafmöglichkeit bei sich Zuhause an. Doch wir haben uns schon am Nachmittag um eine Couch gekümmert und lehnen dankend ab. Für alle Fälle tauschen wir trotzdem die Telefonnummern aus. Kurz vor Mitternacht erreichen wir die Wohnung von unserem Host - Andrej - hier werden wir außerplanmäßig vier Tage bleiben.
Andrej empfängt uns in einer schönen Wohnung und bietet uns ein eigenes Zimmer an. Er liebt es auch zu reisen und hat bereits viel von der Welt gesehen. Als Weltenbummler hat er die Photografie für sich entdeckt und erstellt Fotobücher, die er mit Hilfe eines Verlags publiziert und verkauft. Vor ein paar Monaten ist er aus den Staaten zurückgekehrt. Dort hat er sich ein Rennrad angeschafft. Es dauert nicht lange, als er sich entschließt, uns ein Stückchen zu begleiten. Bis es in drei Tagen soweit ist, nimmt sich Andrej Zeit, um uns seine Stadt zu zeigen. Nischni Novgorod hat viel zu bieten. Die Stadt ist geteilt durch den Fluss Wolga. Der rechte Teil liegt auf einem Hügel. Hier sind auch die meisten Sehenswürdigkeiten zu finden: Die Festungsanlage samt Kremlin, bezaubernde Kirchen, Altstadt mit wunderschönen Stassen und alten Gebäuden, Parks, Flaniermeilen und der atemberaubende Blick auf die Stadt von oben. Am nächsten Tag helfen wir Andrej ein paar Besorgungen für unsere bevorstehende gemeinsame Radtour zu machen. So wird noch kurzer Hand eine Radhose und Ersatzteile gekauft. Andrej verzichtet auf einen Spezialgepäckträger und entschließt sich, die komplette Ausrüstung und den Proviant im Rucksack zu befördern. Mit dieser Entscheidung wird er später noch zu kämpfen haben. Ein Tag wird noch vergehen, bevor es dann endlich los geht. Unser Ziel ist Makarjewo, ein kleines Dorf, 100 km von Nischni Novgrod gen Osten entfernt. Das Örtcchen beherbergt eine einmalige Klosteranlage direkt an der Wolga. Tausende Pilger und Touristen strömen jedes Jahr zu diesem heiligen Ort. Auch wir wollen es uns nicht engehen lassen. Auch die Möglichkeit im Kloster zu übernachten hat uns sehr gereizt.
Gegen Mittag sind wir bereit. Wir fahren im Konvoi zunächst Richtung Bor. Andrej lässt sich zum ersten Mal auf so eine lange Distanz ein. Die Gedanken an den Autoverkehr, machen ihn sehr unruhig. Um ihm etwas mehr Sicherheit zu geben, fährt er zwischen uns. Kleine Auffahr-Fauxpas beim Bremsen bleiben dabei nicht aus. Und wie es der Schicksal will, ist es nach den ersten 20 km soweit - wir erleben unsere erste Panne, nach über 4.000 gefahrenen Kilometern. Tatjana ist auf eine Glasscherbe gefahren, und dieses Mal lag das Stückchen Glas nicht gerade vorteilhaft. In wenigen Sekunden ist der Reifen leer und wir können es kaum fassen, dass es uns gerade jetzt treffen muss. Doch alles ist halb so wild. Nach anfänglichen Problemen mit der Pumpe, ist der Reifen schnell geflickt und nach einer drei viertel Stunde setzen wir die Fahrt fort.
Die Landstraße nach Makarjewo ist sehr eng. Die Autofahrer lassen sich von dem schlechten Zustand des Asphalts nicht verunsichern und rasen mit überhöhter Geschwindigkeit an uns vorbei. Andrej kann gut mit uns mithalten. Zwischendurch klagt er über Rückenschmerzen. 30 km vor unserem Ziel kann er die Rückenbelastung nicht mehr auszuhalten. Wir beschließen sein Gepäck auf unseren Rädern zu verteilen. Maximal voll beladen, fahren wir weiter. In Makarjewo angekommen, besuchen wir in spezielle Kleidung gehüllt, zunächst einen Gottesdienst. Wir hoffen eine Segnung zu bekommen, da dies eine Voraussetzung ist, um im Kloster übernachten zu können. In orthodoxen Kirchen müssen Frauen einen Kopftuch und einen Rock tragen. Männern hingegen ist keine Spezialbekleidung vorgeschrieben. Ein berühmter Prediger ist an diesem Abend aus weiter Ferne angereist. Er nimmt sich Zeit, nach über zwei Stunden Gottesdienst im Stehen und Segnung brechen wir auf zum Kloster, um an der Mauer unsere Zelte aufzubauen. Eine Übernachtung im Gästehaus ist uns leider verwehrt geblieben.
Die Camping-Kulisse ist einmalig. Wir genießen jede Minute. Solch einen wunderschönen Campingspot hatten wir noch nie. Neben der Klostermauer machen wir es uns gemütlich, genießen ein leckeres Mahl und lassen den Tag bei schönen Gesprächen unterm Sternenhimmel ausklingen. Am nächsten Tag nehmen wir eine Fähre, um auf die andere Seite zu kommen. Dort treffen wir Andrej`s Eltern. Sie sind auf dem Weg nach Kazan und nehmen ihn mit. Wir frühstücken zusammen und schon trennen sich unsere Wege auf verschiedenen Transportmitteln.












