Joschkar Ola

Mari El – In der Republik der Vorfahren…

Wir verabschieden uns von Andrej und seinen Eltern 300 km vor Kasan. Die heutige Etappe von 140 km auf der Magistrale M7 wird sich ewig hinziehen. Das Ziel ist die unabhängige Republik Tschuwaschien, genauer gesagt ein kleines Dorf “Sibaikasi”, 30 km vor der Hauptstadt “Tscheboksary”. Schon vor einer Woche hat Dennis unsere Couchsurfing Anfrage akzeptiert. Er ist vor Kurzem von seiner langen Asien-Reise zurückgekommen und verbringt ein paar Monate bei seinen Eltern, bevor er sich weiter auf seine Abenteuer begibt. Die Strecke hat es in sich, ein Hügel jagt den Nächsten und die Kraft schwindet mit jedem Kilometer. Die Qualität der Straßen ist aber hervorragend. Sehr spät erreichen wir das Dorf, das mitten im Nirgendwo liegt und nur aus ein paar Häusern besteht. Ein mulmiges Gefühl macht sich breit. Es ist kurz vor Mitternacht, dunkel und wir fahren quer durch die Pampa. Am Straßenrand leuchtet auf einmal eine Taschenlampe auf. Es ist Dennis, der auf uns wartet. Puh, was für eine Erleichterung. Auf dem elterlichen Bauernhof angekommen, essen wir zusammen zu Abend, auch die Banja wird angefeuert. Ein Träumchen nach dem anstrengenden Tag.

Der nächste Morgen fängt genauso entspannt an, wie der Abend zuvor aufgehört hat. Wir genießen den Vormittag im angrenzenden großen Garten am Haus. Wir lassen uns von seinem Vater die verschiedenen Bienenvölker erklären und probieren auf die Empfehlung hin etwas Bienenharz, sogenanntes Propolis. Es soll wahre Wunder bewirken bei Zahnschmerzen und den Zähnen einen besonderen Schutz verleihen. Die nächsten drei Tage werden wir mit dem Wachs an den Zähnen zu kämpfen haben. Ein komisches Gefühl. Nach einem leckeren Mittagessen widmen wir uns noch etwas unseren Rädern und wechseln wieder mal unsere Ketten. Danach radeln wir mit Dennis zusammen nach Tscheboksary zu seinen Freunden. Unser Weg führt uns durch den schön angelegten Stadtpark bis zu eine Downhill-Strecke, auf der wir mit Sack und Pack bergab, zur neu angelegten Wolga-Uferpromenade fahren. Hier tummeln sich Mountainbiker, Beachvolleyballer, Fitnesswütige, Kaffeeliebhaber oder einfach nur Sonnenhungrige zum flanieren und austoben.

Ab hier ist es nicht mehr weit und Dennis hat uns schon angekündigt. Und so besorgen wir kurzer Hand, noch leckere Bonbons, in der in Tscheboksary ansässigen besten Bonbonfabrik Russland`s. Als wir die Wohnung betreten, werden wir herzlich empfangen. Viele Leute sind da und genauso viele Fahrräder stehen im Flur und hängen an der Wand. Die Chemie stimmt und so kommen wir gleich ins Plaudern und erzählen von unseren nächsten Zielen. Wir kochen Kaffee auf dem Balkon, essen die mitgebrachten Leckereien und legen die Beine hoch. Nach der Kaffeerunde verabschieden sich die ersten. Es sind Marina und Evgenie aus Joschkar Ola. Die beiden werden wir einen Tag später wiedersehen. Sie haben uns prompt zu einer Übernachtung eingeladen. Die heutige Nacht verbringen wir bei dem besten Freund von Dennis, Dennis oder wir er sich vorstellt, Denn. Er bietet uns ebenfalls ohne umschweifen sein Schlafsofa an und möchte am nächsten Tag mit uns nach Joschkar Ola fahren. Aber noch ist nicht an Schlaf zu denken.

Nach unserem Kaffeeplausch begeben wir uns alle auf einen kleinen, feinen Stadtrundgang der seinen finalen Höhepunkt an der Uferpromenade von heute Nachmittag findet. Das Wetter und die Stimmung sind herrlich. Die milde Brise verleiht dem ganzen ein gewisses Flair, wie man es aus Südeuropa kennt. Spät am Abend schlummern wir mit vielen Eindrücken und wunderbaren Gedanken, voll erfüllt ein.

Der nächste Morgen naht und Den ist mittlerweile zur Arbeit aufgebrochen und hat uns seinen Wohnungsschlüssel da gelassen. Wir nutzen die Zeit um ein paar Berichte und Emails zu schreiben. Gegen 12 Uhr kommt Den von der Arbeit und wir machen uns eine Stunde später gemeinsam auf den Weg nach Joschkar Ola in der Republik Mari El. Die Vorfreude auf Mari El ist riesig. Schon immer war es für mich ein innerer Wunsch, den Geburtsort meiner Mutter zu besuchen. Aus den Erzählungen und Beschreibungen, ist mir besonders die wunderschöne Natur, mit tiefen Wäldern, glasklaren Seen und süßen Dörfern in meiner Erinnerung haften geblieben. Die Landschaft in Finnland ähnelt dieser Gegend sehr. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass die Ureinwohner finnische Wurzeln haben.

Den wählt aus seiner üppigen Anzahl von Rädern, sein Rennrad mit dem er heute Morgen schon zur Arbeit gefahren ist. Hoffentlich sind wir ihm nicht zu langsam, denken wir nur. Die Straße ist wunderbar. Der Verkehr hält sich in Grenzen und mittlerweile sind wir auch wahre Experten, was das Einschätzen diverser Verkehrssituationen angeht. 90 km sind es bis Joschkar Ola. Die Stadt, die im Zentrum einige Kopien von nachgebauten Bauwerken, europäischer Baukultur aufzuweisen hat. Wir sind gespannt.

Die Straße führt schnurgerade durch ein riesiges Waldgebiet. Teilweise gibt es Streckenabschnitte von mehr als 30 km, wo kahle, verbrannte Baumreste gemischt mit jungen, frischen Bäumen unseren Weg säumen. Acht Jahre ist es her, erzählt Denn, als hier ein riesiges Feuer wütete. Die Spuren sind noch deutlich sichtbar. Auf der Hälfte der Strecke machen wir Rast an einem wunderschönen, kleinen, versteckten Waldsee. Herrlich. Im angrenzenden Dorf wird das Wasser noch aus einem Brunnen geschöpft. Nach unserer ausgedehnten Pause füllen wir die Wasserflaschen am Brunnen und machen uns auf die letzten Kilometer.

In einem Waldgebiet halten wir an, weil Den uns etwas zeigen will. Mitten am Waldesrand sind Gräben ausgehoben und kleine Unterstände errichtet. Wir lassen den Blick etwas schweifen und erkennen immer mehr Stacheldraht, Hütten und Barrieren. Den erklärt uns, dass dieses Gebiet beim Militär sehr beliebt ist und immer mal wieder Übungen abgehalten werden. Daher kann es hier zu unangenehmen Überraschungen beim Zelten kommen. Gut das wir schon einen Schlafplatz haben.

In Joschkar Ola angekommen, erleben wir eine kleine Stadtrundfahrt der Besonderen Art. Vorbei an der Basilika Kathedrale von Moskau über die kleine Brücke nach Amsterdam und zurück zum gegenüberliegenden Tower von London. Der krönende Abschluss und an Absurdität nicht zu übertreffen, bildet der Eurospar-Markt in der Kopie eines französischen Schlosses. Den Abend lassen wir gewohnt bei den Freunden von Dennis und Den ausklingen. Marina und Evgenie, ebenfalls Weitgereiste, geben uns wertvolle Tipps mit auf den Weg. Die markierten Orte auf unserer Route nach Kasan sind üppig und die Vorfreude groß.

Jaltschik Mari El
Tscheboksary