Nachdem ich das Uralgebirge, die Industriestadt Magnitogorsk und Kartaly hinter mir gelassen habe, bin ich auf dem Weg nach Varna. Nicht das Varna am schwarzen Meer sondern in unmittelbarer Nähe zur kasachischen Grenze. Um nach Leipzig weiterzureisen, benötige ich eine spezielle Erlaubnis, die es in Varna zu besorgen gilt. Doch das stellt sich schwieriger heraus als es ist. Aber alles der Reihe nach.
Als ich am frühen Nachmittag in der Kreisstadt Varna ankomme, ist mein erster Weg ins Stadtzentrum, um mich neu zu orientieren und eine Übersicht zu bekommen. Die Stadt ist wie ein Schachbrett angelegt und ein richtiges Zentrum, mit Marktplatz oder anderen Verwaltungsgebäuden gibt es nicht. In einer Seitenstraße mache ich einen kurzen Stopp. Aus einem Gebäude kommen Leute und fragen mich wo ich herkomme und was ich vorhabe. Ich antworte, dass ich aus Leipzig in Deutschland bin und gern nach Leipzig im Ural fahren möchte. Das kleine Örtchen liegt ca. 10 km von Varna entfernt und scheint doch unerreichbar. Schnell kommen immer mehr Leute aus dem Gebäude, welches sich später als Gerichtsgebäude entpuppt. Ein freundlicher Mitarbeiter möchte mir helfen und mich zur örtlichen Behörde fahren, wo ich die Einreisegenehmigung für Leipzig beantragen kann. Wir stellen kurzerhand mein Fahrrad in den Wartebereich und fahren mit dem Auto etwas außerhalb der Stadt. In einem militärischen Distrikt betreten wir eine kleine Baracke und fragen nach der Einreisegenehmigung, dem sogenannten Propus. Diese Bescheinigung braucht man, weil Leipzig im fünf Kilometer Radius zur Grenze liegt. Alle Besucher eines solchen Bereiches, brauchen diese Genehmigung. Der bürokratische Apparat setzt sich langsam in Bewegung. In den ersten zehn Minuten werden einige Frage zu meiner Person gestellt. Und während wir so einige Details durchgehen, kommt Peter aus Deutschland zur Tür herein. Es ist ein wahrer Zufall, dass er heute in Varna ist. Er ist vom Verein “Leipzig im Ural” und vor gut fünf Tagen, mit dem Auto, aus Leipzig angereist. Mit einem Mal öffnen sich viele neue Türen. Peter hilft mir die nötigen Unterlagen für die Einreise zu erhalten. Der nette Beamte kehrt wieder an seinen Arbeitsplatz ins Gericht zurück und Peter und ich verbringen die nächsten zwei Stunden in der kleinen Baracke und stellen uns tapfer allen Fragen. Er selber hat diese Prozedur schon oft mitgemacht und ist sehr gelassen und entspannt. Ich selber finde es etwas merkwürdig und übertrieben.
Nachdem alles erzählt, alles notiert und von drei weiteren Beamten abgesegnet wurde, kehren wir in das Hotel, in dem Peter wohnt, zurück. Jetzt heißt es warten. Am späten Abend soll wohl die Entscheidung fallen, ob ich mit dem Rad nach Leipzig fahren darf. Die kommenden Tage darf ich mit bei Peter im Hotel wohnen. Ein herrliches Angebot.
Am frühen Abend fährt Peter mit seinem Auto nach Leipzig und übergibt einen Spendenbetrag für die dortige Projekte. Auch ein kleines Fest wurde extra vorbereitet. Ich selber bleibe im Hotel und warte auf die Genehmigung. Bis zum nächsten Tag passiert nichts. Enttäuscht starten wir einen neuen Versuch und besuchen am Morgen die Militärbaracke erneut. Die Genehmigung ist da und angeblich schon seit dem späten Abend davor. Egal, jetzt halte ich meine Erlaubnis in der Hand und wenig später schwinge ich mich aufs Rad und fahre nach Leipzig. Doch vorher hat der örtliche Kulturminister von der Sache Wind bekommen und möchte das natürlich auskosten. Bevor es also nach Leipzig geht, lassen wir einen kleinen Pressetermin über uns ergehen. Peter übersetzt und ich fahre die Straße rauf und runter, für ein passendes Bild für den morgigen Zeitungsartikel.
Endlich geschafft und so geht es mit Gegenwind nach Leipzig. Die Freude ist groß, auf beiden Seiten. Mit viel Engagement realisieren Unterstützer, Förderer und Mitglieder des Verein "Leipzig im Ural" hilfreiche Projekte und schlagen so eine Brücke zwischen Russland und Deutschland. Ich bestaune das Völkerschlachtdenkmal im Kleinformat und die teils schon etwas verblassten Wandbilder des Leipziger Künstlers FischerArt. Nach einem Rundgang im Dorf werden wir zum Essen eingeladen und reichlich verwöhnt. Ich fühle mich fast wie zu Hause, in Leipzig bin ich ja schon. Am späten Abend geht es wieder zurück nach Varna ins Hotel. Peter und ich, lassen das Erlebte der letzten beiden Tage Revue passieren und genießen die ein oder andere Flasche Sekt. Wir unterhalten uns gut und stellen fest, dass wir in Leipzig, nur einige hundert Meter auseinander wohnen. Um uns auf ein Bier zu treffen, werden wir das nächste Mal den kürzeren Weg wählen und einfach in die Gosenschenke gehen.
Am nächsten Morgen geht es für Ihn wieder zurück nach Hause und für mich weiter Richtung Kasachstan. Obwohl ich nur zehn Kilometer von Kasachstan entfernt bin, muss ich die Landstraße Richtung Troitsk nehmen. Ein Umweg von knapp 160 km. Nach einem gemeinsamen Frühstück verabschieden wir uns. Der Gegenwind ist sehr stark und so komme ich nur mühselig voran. Zu alledem habe ich nach fast 6.000 Kilometern meinen ersten Platten. Ausgerechnet heute. Naja, alles fluchen hilft nichts und so bleibt mir nichts anderes übrig, als bei heftigem Wind meinen Schlauch zu tauschen. Es klappt, doch der Wind bleibt.
Nach gut 80 km im Sattel hält vor mir ein Transporter an. Andrey hält an und fragt mich, ob er mich ein Stück mitnehmen soll. Gerne. Wir laden das Rad in den leeren Transporter und fahren gut 40km bis zum Kreisverkehr, wo sich unsere Wege wieder trennen. Es gibt heißen Tee und Gebäck und meine Laune verbessert sich zunehmend. Nach einer halben Stunde ist das Verwöhnprogramm beendet und ich wieder im Sattel.
Im großen Kreisverkehr biegt er nach links und ich nach rechts ab. Und mit einem Mal stelle ich fest, dass durch das Abbiegen, der Wind jetzt von hinten kommt. Was für ein Tag. Am späten Abend erreiche ich sogar Troitsk. Das hätte ich mir am Morgen, nach der Panne nicht mal gesagt zu träumen. Als ich das Ortseingangsschild passiere, kommen die dunklen Regenwolken immer näher. Ich versuche eine Unterkunft für die Nacht zu finden. Ich steuere eine Autowerkstatt an um Luft auf zu pumpen und gleichzeitig zu fragen, wo ich denn eine mögliche Unterkunft finden kann. Nach einem kurzen Schnack, wo ich herkomme und hin will, das übliche also, werde ich in die Werkstatt gebeten. Mein Rad stelle ich in die Werkhalle und jetzt gibt es erstmal Tee. Während wir so sitzen und uns unterhalten, fängt es wie aus Eimern an zu regnen. Also bleibe ich noch etwas. Wir essen Fisch, Brot und trinken das ein oder andere Bier zusammen. Später bekomme ich meine Übernachtungsmöglichkeit in einem Bus, der auf dem Werkstattgelände steht angeboten. Ich sage danken zu. Die Nacht ist sternenklar und am Morgen werde ich von Juri mit frischem Kaffee und extra, gekauften, süßen Brötchen geweckt. Herrlich. Ich bekomme noch eine kleine Stadtrundfahrt geboten bevor es weiter zur Grenze nach Kasachstan geht. Die Werkstatt liegt genau an der Abzweigung zum Grenzübergang. Ich bin überglücklich und wohl gestärkt. Am frühen Mittag reise ich nach Kasachstan ein.











