Polizeieskorte…

Der frühe Morgen in Kökshetau hat mir gezeigt, dass das Leben in Kasachstan erst gegen zehn Uhr so richtig beginnt und in Fahrt kommt. Ich nutze die Zeit und fahre durch die menschenleeren Straßen, vorbei an schön angelegten Plätzen bis zum riesigen Schriftzug “Kökshetau”, der wie sein großer Bruder in Hollywood, auf einem Hügel über der Stadt thront. Gegen acht Uhr öffnet das erste Kaffee und für mich wird es Zeit einen solchen zu bekommen. Die Müdigkeit hängt mir in den Knochen. Nach einem extra Stück Kuchen schwinge ich mich wieder aufs Rad und fahre Richtung Bahnhof um mich von dort wieder neu zu orientieren. Ich folge dem großen Boulevard Richtung Osten und radel aus der Stadt. Der Verkehr hat deutlich zugenommen und die Temperaturen auch. Ich lege einen kurzen Stopp ein, um mir eine kurze Hose anzuziehen. Die Einfahrt vom Agra-Ministerium scheint mir für dieses Unterfangen ideal. Und während ich so in Unterhose in der Einfahrt stehe und gerade dabei bin mir meine kurze Hose anzuziehen, rollt ein Polizeiwagen vor. Das Timing könnte nicht besser sein. Die Scheibe geht runter, der Hosenstall zu und ich bin bereit mich vielen unangenehmen Fragen zu stellen. Doch es folgen nur die Obligatorischen. Wie ein einstudiertes Gedicht zu Weihnachten, beantwortet ich die Fragen.

Erstaunen auf beiden Seiten, da ich immer noch darauf warte, dass die beiden Herren in Uniform auf die Situation in der Einfahrt eingehen. Und die beiden Polizisten sind erstaunt, warum ich hier bin. Auf die Frage wo es hingeht, gibt es keine langen Gesichter mehr, wenn der Name Omsk fällt. Es sind von hier nur noch knapp 400 km. Aber das mit dem Rad finden doch alle irgendwie komisch. Bei unserem kurzen Plausch, frage ich die beiden wie ich am besten auf die Landstraße nach Petropavlosk komme. Sofort wird der Motor gestartet und sie geben mir ein Zeichen, dass ich ihnen folgen soll. Die Rundumleuchte wird in Aktion gebracht und dann heißt es für mich, nicht den Anschluss verlieren. Man muss aber auch erwähnen, dass für ein Fahrzeug mit Blaulicht, beispielsweise ein Krankenwagen, nicht automatisch Platz gemacht wird oder dieser besondere Befugnisse hat. Auf der Brücke zum Zubringer halten die beiden eine Rennradfahrerin an. Sie wird angewiesen mir den Weg zu zeigen. Die Polizisten verabschieden sich und ich folge meiner neuen Lotsin. Während der Fahrt erzählt mir Mascha. das sie im regionalen Rennradteam fährt. Am nächsten Magazin treffen wir einen Teamkollegen und Freund von ihr.. Ein kurzer Plausch und Alex. stürmt nach Hause. Wenige Minuten später steht auch er in kompletter Rennradmontur vor mir. Wir drehen eine Runde durch die Stadt und die beiden zeigen mir so manche versteckte Ecke. Ich bleibe doch noch und entscheide mich schließlich erst am nächsten Tag weiterzufahren. Ich bekomme von Alex eine Übernachtung angeboten, die ich dankend annehme.

Am nächsten Morgen starte ich früh. Mein heutiges Ziel ist Tayynsha. Nach einigen Kilometern stelle ich aber fest, dass der Ort den ich als heutiges Etappenziel ausgesucht habe, gar nicht auf meiner Route liegt. Der Ortsname ist nur so groß geschrieben, dass es auf meiner Karte so aussieht, als ob die Straße direkt durch den großen Ort führt. Es kommen also auf der gesamten Strecke bis nach Petropavlovsk nur noch kleine Siedlungen und Dörfer. Ich hoffe wenigsten unterwegs noch meine Vorräte etwas aufstocken zu können.

Kurz vor meiner Mittagsrast sehe ich am Straßenrand einen LKW stehen. Diesmal halte ich an um zu fragen ob Hilfe benötigt wird. Warum ich ausgerechnet dieses Mal angehalten habe weiß ich nicht, aber nach einem kurzen Plausch, stellt sich heraus, dass Andrey für mehrere Jahre in Taucha gelebt hat. Wie klein ist doch diese Welt. Das Kasachstan in enger Verbindung mit Deutschland steht ist mir schon am allerersten Tag aufgefallen. Nie zuvor habe ich so viele T4 Transporter, teils noch mit deutschen Kennzeichen, gesehen, wie hier. Aber das mitten in der Pampa, jemand was mit Taucha am Hut hat. Unfassbar. Wiedermal begann der Tag sonnig und der frühe Nachmittag vergnügt sich mit den ersten Wolken. Ich habe mich daran gewöhnt, aber mit dem derzeitigen Streckenverlauf, ist das kein angenehmes Gefühl. Die Straßen sind endlos und die Felder verlieren sich im Horizont. Noch steht das Getreide auf den meisten Feldern. Doch es gab auch schon Situationen, wo ich minutenlang durch eine dichte Nebelwolke fahren musste, weil auf dem kilometerlangen Feld nebenan, bei angenehmen Westwind, die Ernte eingefahren wurde.

Mittlerweile ist es gegen 18 Uhr und der Himmel hat sich bedrohlich verdunkelt. Ich beschließe mir einen Platz für die Nacht zu suchen. Ich biege von der Hauptstraße ab und fahre in eine winzige Siedlung, in der Hoffnung einen Platz im Garten zu ergattern. Die ersten Häuser sehen nicht so einladend aus und ich zögere. Denke ans umkehren, probiere es aber dann trotzdem. Beim ersten Haus wo ich frage, öffnet mir eine ältere Frau. Ich erkläre ihr den Umstand und zeige auf den Himmel. Sie ruft ihren Mann, der mich an seinen Nachbarn gegenüber verweist, mit dem Hinweis, das dieser deutsch spricht. Ich folge ihm die paar Meter zum Nachbarhaus auf der anderen Straßenseite. Wieder trage ich meine Bitte vor. Bevor sie Gehör findet, kommt der Sohn des alten Mannes aus dem Haus und jagt mich fort. Zwei weitere Male probier ich es noch, kein Erfolg. Entweder wollen die Bewohner unverschämt viel Geld oder scheuchen mich weg. Ich wende mein Rad und verlasse diesen merkwürdigen Ort. Mein Gefühl hat mich also nicht getäuscht. Ich trete in die Pedale und fahre die endlose Landstraße weiter. Solange ich auf dem Rad sitze, wird es wenigstens nicht kalt. Bis nach Petropavlosk sind es noch 50 km. Zu schaffen wäre es, aber im Regen oder in der Dunkelheit oder sogar im Regen und im dunkeln, das muss nicht sein.

Während ich wieder mal meinen Gedanken über den Ausgang des Tages nachhänge, kommt hinter mir ein Auto. Der Verkehr hat mittlerweile so stark abgenommen, dass ich über jeden Scheinwerfer, der in meinem Rückspiegel erscheint, erfreut bin. Als ich überholt werde, sehe ich das es ein Kleintransporter ist. Ich nutze meine Chance und springe vom Rad und reiße meine Arme in die Luft. Nach einigen Sekunden leuchten die Bremslichter auf und ich weiß, das wird meine Mitfahrgelegenheit. Ich renne zum Transporter und frage den Fahrer wo er hin fährt. Er fährt nach Besköl, aber ein Stück könne er mich mitnehmen. Ein Stück, denke ich. Bei dem Blick auf meine Karte ist das fast bis vor die Tore von Petropavlovsk. Und da ist es wieder, das freundliche und wunderbare Kasachstan, wie ich es jeden Tag erleben darf. Wir verstauen mein Rad im Laderaum, der bis auf ein paar Angelsachen, leer ist. Die Fahrt ist sehr unterhaltsam. Viktor erzählt mir, dass er seinen Ford Transit in Heidelberg gekauft hat. “Wow, da bist du extra nach Deutschland gefahren, um den Bus zu kaufen”, stelle ich erstaunt fest. Und Du extra mit dem Rad nach Kasachstan, um bei mir mitzufahren, erwidert Viktor. Wir lachen beide und fahren dem Horizont entgegen. Herrlich diese Herzlichkeit, denke ich mir nur. Nach 40 km trennen sich unsere Weg und ich erreiche heute schon Petropavlovsk. Bei meiner vorhergehenden Fragerunde in der kleinen Siedlung, war ich so enttäuscht, dass ich nur einen Wunsch hatte, endlich am Ziel zu sein. Ich habe es aber keine Sekunde für möglich gehalten, dass ich am selben Tag noch in Petropavlovsk ein kühles Bier genieße. Die Couchsurfinganfrage bleibt unbeantwortet und so beschließe ich eine Unterkunft zu nehmen und bekomme eine ganze Wohnung. Okay, das ist vielleicht etwas zu viel des Guten, aber in Petropavlovsk, werden fast nur Apartments vermietet. Nun gut. Eine heißes Dusche und was warmes im Bauch, egal ob ein Zimmer oder eine Wohnung. Ich lasse den Abend auf dem Balkon, bei dem besagten, kühlen Bier ausklingen. Kühl wird es die nächsten Tage auch, zumindest sehen die Prognosen alles andere als rosig aus. Starker Regen und Wind ist vorher gesagt. Bisher war das Wetter aber immer anders als angekündigt.

Der Blick, am frühen Morgen aus dem Fenster, stellt einem die Nackenhaare auf. Regen, Regen, Regen und starker, böiger Wind. Ich bleibe noch eine weitere Nacht in meiner sicheren Höhle. Mittlerweile hat sich Zenis auf die Couchsurfinganfrage gemeldet. Am Abend kommt er mit einem Freund bei mir vorbei. Bis dahin nutze ich die Zeit, meine Reifen zu tauschen. Ich wechsel den Vorderreifen mit dem Hinterradreifen, da dieser nicht ganz so abgefahren ist. Wechsel die Kette und lass den Lappen über die ein oder andere Stelle fliegen. Am späten Nachmittag ist alles erledigt und es regnet immer noch. Mittlerweile haben sich die Straßen in kleine Bäche verwandelt. Ich mache ein paar Besorgungen und merke, dass der angekündigte Wind ziemlich stark ist. Weitere zwei Tage werde ich in Petropavlovsk verbringen, da das Wetter nicht besser wird. Am Abend bietet mir Zenis für die kommenden zwei Tage einen Unterschlupf an. Im Laufe der nächsten Tage bekomme ich immer wieder Unwetterwarnungen und Angaben zu Windstärken, per SMS, von der Polizei geschickt. So langsam kommen mir erste Zweifel, ob ich überhaupt nochmal aus dieser Stadt herauskomme. Erst war ich unverhofft schneller in Petropavlovsk als gedacht und jetzt hänge ich hier fest. Am vierten Tag, kaufe ich in meiner Verzweiflung einen übergroßen Regenponcho und plane, egal was komme, meine Abfahrt für den folgenden Tag.