Kasachstan die Zweite…

Mittlerweile ist es Mitte August. Nachdem ich wieder zurück in meine alte Spur gefunden habe, spulen sich die Kilometer wie von selber ab. Der Wind drückt diesmal gut von hinten und lässt mich bequem einen Gang zurück schalten. Die Karte von Russland bildet auch den Teil von Kasachstan mit ab, der mich bis nach Omsk begleiten wird. Es gibt nur wenige Straßen und so bleibt die Auswahl der anzufahrenden Städte mager. Von Kostanay war der erste Plan den direkten Weg nach Petropavlovsk zu nehmen. Die Straße ist aber zu den anderen Fahrstraßen sehr dünn und hell eingezeichnet. Was darauf schließen lässt, dass das nicht unbedingt eine gute Idee ist, diese Wege zu befahren. Zumindest mit dem Rad, was uns die Vergangenheit gelehrt hat. Uns so folge ich brav der Bundesstraße weiter nach Süden, um später in einer scharfen Kehrtwende wieder gen Norden zu radeln. Die Straße führt durch endlose, weite Wiesenlandschaften mit sich abwechselnden Waldgebieten. Nach einem ersten Stopp in einer Stalowaya. Die letzte für die nächsten hundert Kilometer, gönne ich mir eine warme Mahlzeit. Es ist schon später Nachmittag und meine Lust heute noch zu kochen hält sich in Grenzen. Nach einer guten Stunde verlasse ich gestärkt das Lokal. Es dauert keine fünf Minuten und ich werde von einer Polizeistreife gestoppt. Es fallen sofort die Standardfragen: Woher kommst du? Wohin willst Du? Ach was aus Deutschland. Ach was mit dem Rad. Pass bitte. Denn der muss verrückt sein. Nach einem kurzen Plausch und zeigen des Kilometerstandes, darf ich weiter fahren. Auf den nächsten 30 Kilometern werden wir uns noch dreimal wiedersehen. Beim ersten Mal, nach der Kontrolle, wird gewunken. Beim zweiten Mal Lichthupe gegeben und beim letzten Mal, wird extra die Sirene eingeschaltet, Lichthupe gegeben und gewunken.

Kurz vor Beginn der Dämmerung komme ich an eine Baustelle. Ein Schild weist darauf hin, dass die nächsten 10 Kilometer ohne Asphalt verlaufen. Zudem ziehen gefährlich dunkle Wolken am Himmel auf. Es passt heute einfach alles. Etwas ratlos, biege ich von der Schotterpiste ab und begebe mich zur Baustellenkolonne nahe den Bauwagen. Wie ein kleines Dorf, so stehen die Baracken der Straßenbauarbeiter da. Und ringsherum allerlei Maschinen in allen erdenklichen Größen und Variationen. Bei der Einfahrt auf das Gelände kommen die ersten auf mich zu. Ich frage ob es möglich wäre mein Zelt in der Nähe der Baracken aufzustellen. Damit ich nicht so alleine bin. Bevor die Frage beantwortet wird, sitze ich schon im großen Bauwagen bei Tee und Gebäck. Nach und nach kommen immer mehr Bauarbeiter dazu. Die Schicht für heute ist gerade zu Ende gegangen. Bevor der Chef kommt ist schon entschieden, dass ich bleiben darf. Mir wird gezeigt, wo ich mich duschen kann und wann es Essen gibt. Das Zelt brauche ich nicht, denn mir wird ein Bett in einer der Baracken vorbereitet. Einige LKW-Fahrer schlafen in ihren Fahrzeugen und so ist ein Bett frei. Vielleicht aber schläft der ein oder andere auch extra für mich in seinem Fahrerhaus. Bei der Gastfreundschaft würde mich das nicht wundern! Nach einem üppigen Mal gibt es noch einen Hollywood-Blockbuster in einer der vier Baracken. Was für ein Abend.

Ich bin von Kasachstan mehr als beeindruckt.

Am Morgen ist die Temperatur deutlich gefallen und in der Nacht hat es heftig geregnet. Wir sitzen in dem warmen Küchenbauwagen und genießen das vorbereitete Frühstück. Manche sind schon wieder auf der Baustelle, andere fangen etwas später an. Kurz bevor ich aufbreche, werden noch Erinnerungsfotos gemacht und dann geht die Fahrt auf 10 Kilometer Schotterpiste weiter. Doch diesmal wird bei jedem Bautrupp oder vorbeifahrenden Baustellenfahrzeug herzlich gewunken. Was für eine Freude. Nie zuvor habe ich mir gewünscht, das eine Schotterpiste nicht aufhören soll. Aber das tut sie dann zum Glück doch. Auf bestem Asphalt dreht die Geschwindigkeitsanzeige wieder deutlich auf und der Reifen rollt gut. Gegen frühen Nachmittag erreiche ich Saryköl. Der Regen der vergangenen Nacht hat das kleine Städtchen in eine wahres Schlam(massel) verwandlet. Ich steuere zielstrebig wieder mal eine Stalowaja an. Auf dem Absatz mache ich kehrt. Was von außen schon etwas gewöhnungsbedürftig aussah, hat sich im Inneren um ein hundertfaches verschlimmert. Ich gehe in das etwas neuer aussehende Kaffee gegenüber. Ein junger Mann hat beobachtet wie ich mit meinem Rad vor der abschreckenden Stalowaja Halt gemacht habe. Wie in einem Western kommt er die matschige Straße herüber und stellt sich gut drei Meter von mir entfernt, hin. Fehlt nur noch der Colt am Gürtel und ein zerschossener Cowboyhut. Ich schenke ihm keinerlei Aufmerksamkeit, wende meinen Drahtesel und begebe mich in das besagte Kaffee gegenüber. Im Innenhof angekommen, wird das Gefährt fest gemacht und wie im Film, betrete ich den Saloon. Das Lokal ist zur Hälfte gefüllt und für eine Sekunde kommt es zu einer kurzen Pause. Die Gläser wird nicht abgesetzt, der Salat nicht hinter gekaut und die Suppe wird auf dem Löffel kalt. Nachdem ich mir einen Platz gesucht habe, geht das Geschehen wieder seinen Lauf. Ich bestelle Borscht und einen Kaffee. Die Tür geht auf und unser Held ohne Cowboyhut kommt rein. Er stellt sich an die Bar und wendet sich mir zu. Er blickt mich an. Die ganze Zeit. Von meinem ersten Schluck ultra heißen Kaffee bis zum letzten Löffel erkaltetem Borscht. Ich bin verwundert, amüsiert und etwas verängstigt. Kurz bevor ich bezahle, nehme ich meinen ganzen Mut zusammen und frage ihn “Sto?” Kurz darauf geht er und ward nimmer gesehen. Mein Drahtesel steht noch am Haltepfosten und im Magazin nebenan, kaufe ich noch ein paar Bananen und eine Packung Kekse. Ich frage die Dame hinterm Tresen, ob es hier im Ort eine Übernachtungsmöglichkeit gibt. Ja die Straße runter gibt es ein kleines, altes Hotel. Das Wetter schlägt schon wieder um und meine Lust auch. Das Hotel lasse ich bei der Weiterfahrt links liegen und bewege mich aus dem kleinen Ort, wieder Richtung Bundesstraße. Durch Zufall erblicke ich einen Bahnhof.

Interessiert fahre ich vor. Es gibt genau einen Schalter und dahinter sitz eine ältere Dame, bei der man denken könnte, sie betreibt diesen Schalter als Zeitvertrieb im wohlverdienten Rentenalter. Sie versteht mich nicht. Es gibt keinen Computer oder andere Hilfsmittel. Sie schreibt mir die eventuell für mich relevanten Informationen auf einen Zettel. In kyrillischer Schreibschrift. Also noch schwieriger geht es nicht. Mein Wörterbuch kann ich getrost stecken lassen. Ich gehe und fünf Minuten später ist der Schalter zu, für heute. Ich setzte mich auf eine Bank und genieße meine Bananen und gekauften Kekse. Auf den Gleisen gegenüber werden Güterzüge rangiert und ich beobachte das bunte Treiben. Ich werde an unsere Eisenbahnplatte erinnert und denke nur, wie einfach das war, man musste nur den Wagon umheben und auf eine andere Schiene setzen. Warum ranchieren die wie wild herum.

Die Zeit vergeht und meine Lust auch. Nach einer ganzen Weile kommt ein Mitarbeiter aus dem Stellwerk zu mir. Er fragt mich wo ich herkomme und wo ich hin will. Er erklärt mir, dass heute Nacht ein Zug hier hält, der nach Astana fährt. Die Fahrkarte kann man nicht am Schalter kaufen sondern im Zug. Ich denke an einen lokalen Bummelzug, indem das so üblich ist. Zumindest in Russland. Er bietet mir einen Schlafplatz im Büro des Stellwerks an. Ich solle mich aber nicht wundern, er müsse kurz nach Hause. Ich wage mir gar nicht vorzustellen, was passieren würde, wenn ich an einer der Knöpfe und Hebel drücken und stellen würde. Wie auf einer Modellbahnplatte würde wahrscheinlich der eine Zug auf das eine Gleis und der andere auf das andere fahren. Oder auch beide auf ein Gleis. Ich verdränge diese Gedanken und mache es mir auf dem Sofa gemütlich. Mein Zug kommt kurz vor zwei Uhr morgens. Na mal schauen und erstmal gute Nacht.

Pünktlich werde ich vom Stellmeister persönlich geweckt. Ich packe meinen Kram zusammen und der Zug kommt an. Es ist ein Schnellzug, ähnlich wie die Transib. Mir wird Angst und bange, denn normalerweise muss das Fahrrad für so einen Transport etwas vorbereitet werden. Der Zug hält nur ein paar Minuten und so wuchten wir das Rad, mitten in der Nacht, in den Eingangsbereich des Wagon. Das Gepäck folgt und ein schier endloses Gespräch mit dem Schaffner. Zum Glück hat mir der Stellmeister vorher den ungefähren Preis genannt. Der Schaffner möchte den doppelten Preis, für ein paar Kilometer. Ich gebe ihm, den mir vorher genannten Preis und beteuere, dass ich nicht mehr habe. Ein großer Vorteil für mich,  es ist mitten in der Nacht und alles was der Schaffner möchte ist Ruhe für seine Gäste und Schlaf für sich. Nach einer guten Viertelstunde willigt er ein und ich bekomme sein Abteil zugewiesen. Und nun sitze ich mit meinem Rad in einem Abteil, was etwas größer ist als eine Duschkabine. Ich schlafe ein paar Stunden im sitzen und gegen halb sechs Uhr morgens kommen wir an. Zumindest, bis dahin wo ich mitfahren darf, für meinen ausgehandelten Preis. Ich steige mit Sack und Pack aus und der Schaffner macht lächelnd drei Kreuze. Nur wo bin ich. Ah okay, Kökshetau, steht in großen Lettern am Bahnhofsfgebäude.